Bei traumatischen Erlebnissen (z.B. Vernachlässigung wichtiger Bedürfnisse oder Missbrauch in der Kindheit, schwere Geburten, Unfälle, Vergewaltigungen) setzt der Körper eine Verteidigungs-Kaskade in Gang:

 

Stressreaktionen bei traumatischen Erlebnissen - Katharina Lehmann

 

Bei jedem traumatischen Erlebnis wird zusätzliche Energie über die Ausschüttung von Stresshormonen mobilisiert (Sympathikus). Sind aber in einer Situation weder Flucht noch Kampf möglich, kommt es zu Todesangst. Da man an der eigenen Übererregung oder an unerträglichen Schmerzen sterben könnte, beginnt ein Prozess der Dissoziation, das heisst, eine Trennung von Körper, Seele und Geist. Daraus resultieren Erstarrung, zunehmende Gefühllosigkeit und schliesslich Erschlaffung der Muskulatur bis hin zu Ohnmacht (Parasympathikus).

 

Langfristige Auswirkungen von traumatischen Erlebnissen

Zur ersten Gruppe gehören die Sympathikus-dominierten Stressreaktionen, welche sich auf den roten Pfeil der Verteidigungs-Kaskade beziehen:

Flashbacks und Trigger: Traumatische Erlebnisse führen zu sehr vielen und intensiven Verknüpfungen von Sinneswahrnehmungen und Gefühlen -> dadurch entsteht eine Furchtstruktur. Wird im Alltag dann eine dieser Wahrnehmungen durch äussere oder innere Reize getriggert, wird häufig die gesamte Furchtstruktur aktiviert und Flashbacks ausgelöst, welche z.B. Erstarrung, Panikattacken mit dem Gefühl, verrückt zu werden oder Scham und Wut verursachen.

Vermeidung: Mit der Zeit weiss man, welche Reize zu schmerzhaften Reaktionen führen und lernt, sie zu vermeiden, was im Extremfall dazu führen kann, dass man gar nicht mehr aus dem Haus geht.

Physische Übererregung: äussert sich z.B. in Reizbarkeit, Konzentrations-, Schlaf-, Verdauungsstörungen oder Kopfschmerzen. Die physische Überregung kann nach einem traumatischen Erlebnis so gross sein, dass mit der Zeit sogar positive Emotionen vermieden werden, da auch sie einen Alarmzustand auslösen können. Dies kann bis zu emotionaler Taubheit führen.

 

Zur zweiten Gruppe gehören die Parasympathikus-dominierten Symptome und beziehen sich auf den schwarzen Pfeil der Verteidigungs-Kaskade. Diese Stress-Reaktionen treten insbesondere bei Menschen auf, welche während ihrer Kindheit körperlich und seelisch misshandelt oder vernachlässigt worden sind. Wenn ein Kind in eine Familie geboren wird, in der es abgelehnt wird und die Erfüllung der kindlichen Bedürfnisse nach Körperkontakt, Nahrung, Liebe, Zugehörigkeit, emotionale Zuwendung oder emotionalem Halt ignoriert werden, sind Entwicklungs-Traumata die Folge. Denn wir werden nicht mit der Fähigkeit geboren, unsere Stressreaktionen selbst regulieren zu können. Dafür brauchen wir verlässliche und einfühlsame Bezugspersonen, damit wir als Säuglinge und Kleinkinder nach und nach lernen, uns selbst zu regulieren. Die Stress-Reaktionen, welche daraus resultieren sind vielschichtig und umfassen Identitätsprobleme, emotionale Instabilität, Depressionen, Suchtmittelkonsum und süchtige Verhaltensweisen, Ängste jeder Art und vor allem Beziehungsprobleme. Gleichzeitig können aber auch alle Stress-Reaktionen der ersten Gruppe auftreten.

Bei einem Entwicklungstrauma spielt auch Scham eine grosse Rolle. Kinder können noch nicht denken „ich bin ein guter Mensch in einer schwierigen Situation“. Sie können nicht riskieren, die Bindung zu den Eltern zu gefährden, da sie komplett davon abhängig sind. Um sich gegen Bindungsverlust zu schützen, geben sie sich die Schuld am Versagen der Umgebung und kommen zu der Überzeugung, dass sie schlecht sind und etwas falsch gemacht haben. Dadurch entsteht eine Überlebensstrategie von Schuld und toxischer Scham, was für ein Kind immer noch besser ist als der Verlust der Bindung zu den Eltern, verursacht dann aber später massive Identitätsprobleme.

 

 

Vorgehen und Methoden zur Enttraumatisierung

Während traumatischen Erlebnissen wird die Zusammenarbeit verschiedener Regionen im Gehirn durch Stresshormone massiv beeinträchtigt. Bei einem Entwicklungs-Trauma kann sich diese Zusammenarbeit erst gar nicht optimal entwickeln, woraus neben den oben beschriebenen Stressreaktionen häufig auch Aufmerksamkeits- und Lerndefizite entstehen. Gefühle und Sinneseindrücke (Amygdala/Angstzentrum im limbischen System) werden nicht (mehr) entsprechend mit dem Hippocampus vernetzt, dem Sitz des autobiografischen Gedächtnisses (ebenfalls im limbischen System). Dadurch entsteht trotz intensivsten Sinneswahrnehmungen Sprachlosigkeit. Die traumatischen Ereignisse werden deshalb auch nicht in Raum und Zeit repräsentiert, wodurch nicht zwischen Vergangenheit und Gegenwart unterschieden werden kann. Das heisst, der Körper hat das Gefühl, weiterhin massiv bedroht zu sein, sobald irgendwelche Reize an das Trauma erinnern, resp. die Furchtstruktur aktivieren.

Durch die Methode des Wiedererlebens eines Traumas, kann der Körper dies mit der Zeit als vergangen begreifen und ist nicht mehr in Alarmbereitschaft.

Der Kern der Wirksamkeit liegt im

  • kontrollierten Wiedererleben aller mit dem Trauma verbundenen Gefühle und Wahrnehmungen, insbesondere durch Lösung/Entladung von Blockaden im Körper sowie dem
  • Benennen der Gefühle und Sinneseindrücke, was zu einer Vernetzung mit dem autobiografischen Gedächtnis führt und dadurch zu einer Verankerung bezüglich Raum und Zeit -> das Trauma kann dann als vergangen wahrgenommen werden und die Stressreaktionen nehmen nach und nach ab.

Transpersonales Atmen unterstützt zusätzlich dabei, einen Zugang zu den verdrängten Gefühlen zu schaffen, indem Blockaden und gestaute Energien im Körper wieder zu sinnvollen Erfahrungen umgewandelt werden. Familien-Aufstellungen helfen, systemische Verstrickungen zu lösen, um traumatische Erlebnisse in der Kindheit einzuordnen zu können.

 

Literatur:

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